Montag, 27. Februar 2012

Neues aus Takoradi, Ghana vom 26.2.2012

Meine Lieben,
kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht. Aschermittwoch ist schon vorbei und ich bin seit mehr als drei Monaten in Takoradi!
Letzten Sonntag hat es bis auf einen sehr kurzen Regenguss im November zum ersten Mal mehrere Stunden geregnet. Das war eine wunderbare Erfrischung nach den vielen Tagen mit heißem und vorallem sehr staubigen Wind aus der Sahara. Der Hamatan, wie ihn die Leute hier nennen, macht auch im tropischen Takoradi die Luft viel trockener, d.h. man schwitzt weniger und die Hitze ist leichter zu ertragen. Allerdings ist auch nach gründlichem Putzen einen Tag oder eigendlich schon mehrere Stunden später alles wieder mit einer Staubschicht bedeckt und glaubt mir, nicht mit einem so harmlosen feinen Staub wie in Deutschland, sondern mit richtig „fettem“ braunen Staub, bei dem es nicht ausreicht, mal schnell zu wischen. Diesem Staub muss man mit Wasser und manchmal auch mit Seife zu „Leibe rücken“. Und wenn man nicht ständig putzen will, was mir zu nervig ist, auch wenn ich Helfer habe, muss man einfach eine gewisse Portion Staub in Kauf nehmen. Für die Menschen im Armenviertel gleich hinter mir bedeutet der Regen völlig aufgeweichte Wege, überquellende Abwasserkanäle gleich neben ihren Hütten und oft genug Wasser in den Hütten, weil die Dächer undicht sind. Ich muss nur meinen Weg finden und sicher über die Bretter balancieren, ohne zu stolpern und im Schmutzwasser zu landen und hinnehmen, dass Menschen unter solchen Umständen leben müssen. Natürlich spreche ich dieses Thema genauso wie das fehlende saubere Trinkwasser immer wieder an, aber ich muss aufpassen, nicht in die Rolle des Besser-wissers zu geraten, auch bei anderen Themen. Von außen gesehen ist vieles unverständ-lich, im Gespräch mit den Menschen lerne ich, vieles aus ihrem Blickwinkel zu sehen und zu verstehen. Ich bewundere ihre Ausdauer und Bereitschaft, auch harte Umstände und Widrigkeiten mit Humor zu akzeptieren. Ich bin beeindruckt von ihrer Toleranz gegenüber mir und meiner offensichtlichen Unwissenheit bei vielen Dingen ihres ganz normalen Alltags oder wenn ich mich mal wieder über etwas, aus ihrer Sicht völlig unnötiges, aufrege, wenn bspw. mein Internet nicht funktioniert oder ein Patient einfach nicht zum zweiten fest vereinbarten Behandlungstermin erscheint, im Sinne von: „Mir geht es doch wieder gut, ich kann wieder arbeiten, warum soll ich da nochmal kommen?“ (auch wenn ich es ihm 10 mal - na ja ich übertreibe - erklärt habe, warum es notwendig ist). Es kommt immer wieder zu Mißverständnissen, einfach weil wir z. B. mit derselben Sache etwas anderes verbinden. Manchmal verstehe ich erst nach einiger Zeit, dass ein Mißverständnis vorliegt. Gerades fällt mir ein Beispiel ein, das ich Euch erzählen will. Das Fantiwort okura wird mit „mouse“ (Maus) und das Wort okusi mit „rat“ (Ratte) übersetzt. Bei meinem Versuch, mir die zwei Wörter einzuprägen, schwärmen mir ein paar Leute vor, wie köstlich okusi schmeckt. Ich frage entsetzt: „Was, ihr esst Ratten, diese scheußlichen Tiere, die Krankheiten übertragen?“ Antwort: „Ja, natürlich, ihr Fleisch ist zart und hat einen feinen Geschmack“. Ich bin weiterhin entsetzt, kann nicht glauben, dass hier sogar Moslems mit ihren strengen Eßvorschriften Ratten mit Genuss verzehren, frage immer wieder nach und erhalte immer dieselbe Antwort. Dann werde ich etwas unsicher; schließlich habe ich ja noch nie Rattenfleisch probiert und wenn man das Fleisch sehr gründlich gart, tötet man schließlich die meisten Erreger ab.... Vielleicht also doch? Man ja auch Heuschrecken essen... trotzdem..., eklig! Ich lasse mich groß und breit über die Pest in Europa aus, die von Ratten übertragen wurde, die Hälfte aller Bewohner tötete und wir aus diesem Grund vielleicht einen besonderen Widerwillen gegen Ratten entwickelt haben. Ich erwähne, dass es auch heute immer wieder Ausbrüche von Pest gibt z. B. in Ostafrika und so weiter und so fort... Wer mich kennt, kann sich vorstellen, wie ich so richtig in Fahrt komme..., und die Leute hören geduldig zu! Einige Tage später klärt sich das Mißverständnis auf - zum Glück, bevor ich ein Gerücht über spezielle, Ratten verzehrende Ghanaer aus Takoradi, verbreiten konnte. Es ist ganz einfach: Okura sind einfach alle Maus oder Ratten ähnliche Plagegeister, es gibt nur kleinere (unsere Mäuse) und größere okura (unsere Ratten). Dennoch habe ich lange nicht verstanden, um welches wohlschmeckende Tier es sich bei okusi handelt, bis ich mich an ein Buch von 1967 mit dem Titel „A Field Guide to the National Parks of East Africa“ erinnert habe, das ich beim Auspacken beinahe schon wegwerfen wollte, aber wegen der Bilder dann doch behalten habe. Leider kennen auch Leute, die perfekt Englisch sprechen, meist nur die sehr gebräuchlichen Ausdrücke für Tiere, Pflanzen, Gewürze usw. auf Englisch. An Hand einer Zeichnung haben wir in dem Buch entdeckt, dass es sich bei okusi um Cricetomys Gambianus handelt, eine in Wäldern und Buschlandschaft, nach Auskunft meiner Gesprächspartner auch in der Nähe menschlicher Behausungen lebende Art von Riesenratte (ohne Schwanz 70 cm lang).
Ich hoffe, ich habe Euch mit meiner langen Geschichte über okura und okusi nicht gelangweilt. Sie ist Teil meines Alltags.
Ich möchte Euch von unserem kleinen Garten erzählen, den ich mit Hilfe von ein zwei jungen Burschen aus dem Armenviertel angelegt habe. Wir haben ein paar Grasflecken (viel mehr ist es nicht) gründlich umgegraben und versucht, etwas Gemüse anzubauen: Gurken, die gut gedeihen und hier ein echter Luxus sind, Kletterbohnen, (die ersten sind eingegangen, weil der Standort zu sonnig war, aber wir lernen), Rüben und Wassermelo-nen (noch nicht erntereif), eine Asiasalatmischung, die nach dem Abpflücken erstaunlich schnell nachwächst, Zwiebeln, von denen wir schon die frischen Stengel abschneiden können, Rukola, Zuccini und Kürbis, der wegen gefräßige Ameisen bis jetzt nur zum Blühen kommt. Leider gibt es wegen der Trockenzeit jetzt keine Tomaten- und Paprika-setzlinge zu kaufen. Wir planen gemeinsam und es schön, mit welchem Eifer die Burschen, die aus ihrem Viertel kein Fleckchen Grün kennen, das Wachsen der Pflanzen beobachten, jäten und vor allem gießen, was wegen dem Wassermangel oft nicht einfach ist. Besonders die Artemisiapflanzen für den Malariatee brauchen sehr regelmäßig relativ viel Wasser. Sie wachsen in dem heissen Klima langsamer als bei uns. Wir hegen und pflegen sie, probieren verschieden Standorte aus und sind stolz, dass aus den winzigen Samen kräftige, inzwischen 30 cm hohe Pflanzen gewachsen sind. Ernten können wir sie erst kurz vor der Blüte, weil sie nur dann ihre volle Arzneiwirkung haben. Ich bin froh, dass ich noch Tee aus Deutschland habe; sonst hätte ich mir wahrscheinlich schon längst eine Malaria geholt.
In unserem zukünftigen Gesundheitszentrum werde ich auf alle Fälle einen großen Garten anlegen mit Heilpflanzen, viel Obst und Gemüse; es ist also gut, wenn wir schon einige Erfahrungen sammeln können.
Inzwischen freue ich mich schon sehr auf das Zentrum; wo ich jetzt wohne, sind unsere Möglichkeiten in vielerlei Hinsicht doch ziemlich beschränkt. Wir sind dabei das Projekt Gesundheitheitszentrum wie auch das Projekt Mikrokredit auf eine gute rechtliche Grundlage zu stellen und alles möglichst eindeutig und gut zu regeln (wichtig auch für den Verein in Deutschland). Leider benötigen in Ghana solche Dinge viel Zeit, weil viele Behörden, Counsils und Chiefs ein Wörtchen mitzureden haben. Drängeln nützt gar nichts und wenn man grantig wird und wagt sich zu beschweren, dauert garantiert alles noch länger. Zum Glück weiss ich aus Erfahrung, dass man mit genügend Geduld und Hartnäckigkeit vieles erreichen kann.
Zum Schluss möchte ich Euch noch aus meinem medizinischen Alltag berichten. Hier sind es Patienten gewohnt, dass sie vom Arzt ein paar Tabletten, in Tütchen abgefüllt, bekommen, ohne Aufklärung, um welche Tabletten für welche Erkrankung es sich handelt. Sie sind erstaunt und sehr interessiert (eigentlich klar, oder) , wenn ich es anders
handhabe. Ich bin erstaunt, mit welchen unnötigen Ängsten sich Menschen herumschla-gen müssen, weil sie über ihren Körper so wenig Bescheid wissen. So fragte mich eine nette, sehr tüchtige Frau mit fünf Kinder, ob die Ursache für ihr Asthma ihre mangelnde Bereitschaft für eine sechste Schwangerschaft sei. Ein Mädchen meinte, ihre unregel-mäßige Periode sei die Ursache für ihre chronische Gastritis. Ich bin noch mehr erstaunt, welche Leidenstoleranz die Menschen oft haben, Frauen, die mit Fieber oder starken Kopfschmerzen ihre Waren in der glühenden Sonne verkaufen, ein Mann, der vor Schmerzen im Rücken und in den Beinen kaum gehen kann, sich aber weiterhin jeden Tag zu seiner Arbeit bei einer ausländischen Holzfirma schleppt. Weil ich eine ernste Erkrankung vermute, habe ich versucht, ihn zu überzeugen, das Universitätskrankenhaus in Accra aufzusuchen, leider erfolglos. Er hat Angst, seine Arbeit zu verlieren, wenn er fehlt.
Ungeduldig wurde ich bei folgender Geschichte (hinterher musste ich lachen): Ein Mann kommt und will für die Beschwerden seiner Frau ein Medikament. Weil ich mich weigere, die Frau zu handeln, ohne sie zu sehen, erscheint er am nächsten Tag mit ihr. So weit so gut, aber aus den Krankeitssymtomen der Frau, die er übersetzt, weil sie kein Englisch spricht, werde ich auch nicht recht schlau: Sie hatte vor ca. vier Jahren zwei bis drei Wochen lang weiße geruchlose Absonderungen aus der Scheide ohne Juckreiz oder Brennen, aber sie muss jetzt irgendetwas haben (auch wenn sie nichts berichten kann), weil er seit ca. 2 Monaten sich jedesmal beim Verkehr „seinen Penis verbrennt - wegen zu großer Hitze in der Vagina seiner Frau“. Ich erzähle hier die ganze Unterhaltung sehr zusammengefasst; zwischendurch hätte den Herrn ganz gern geschüttelt, aber irgendwann konnte er zugeben, dass er verstärkten Harndrang und Schmerzen beim Wasserlassen hat. Andere Sexualpartner gibt es nicht (?). Ich habe beiden ein Antibiotikum verschrieben.
Zum Schluss will ich Euch nicht ersparen, was mich wirklich erschüttert hat und wo ich die Härte einer im Wandel befindlichen, oft sehr großzügigen und liebevollen, aber manchmal noch sehr harten und unbarmherzigen Gesellschaft erlebe. Ich erzähle Euch von Amina und Maria. Amina kommt nicht auf eigene Iniative, sondern auf Empfehlung des Krankenpflegers. Sie ist eine wunderschöne Frau, höchstens 40 Jahre alt (viele Patienten kennen ihr Geburtsdatum nicht). Leider ist ihre Akne im Gesicht wirklich die schlimmste, die ich je gesehen habe. Amina hat traurige Augen, ist sehr zurückhaltend und emotionslos. Nach und nach erfahre ich folgendes: Abgesehen von der Akne, die vor einem halben Jahr plötzlich und ohne sichtbaren Grund kam, hat Amina keine Beschwerden. Antibiotika zeigen praktisch keine Wirkung. Ihr Mann hat sie vor knapp zwei Jahren verlassen, weil sie keine Kinder bekommen konnte. Der Mann hat sofort wieder geheiratet und lebt mit seiner neuen Frau und dem Kind, das gleich kam, in Aminas direkter Nachbarschaft, so dass sie alle drei jeden Tag sieht. Amina lebt allein, zu ihrer Familie kann sie nicht zurück. Ich habe ihr ein Trauermittel gegeben und ziemlich vergeblich versucht, mit ihr in Kontakt zu kommen. Sie ist bis jetzt nicht wieder gekommen. Ich habe den Krankenpfleger gebeten, falls es passt, sie in der Moschee, wo sie sich beide sehen, anzusprechen. Ich habe nicht viel Hoffnung, weil Amina sich selbst schon aufgeben hat. Ihre Akne macht ihr absolutes Außenseiterdasein nur noch deutlicher sichtbar.
Maria ist eine rundliche, heitere Frau, die gerne lacht, Alter ca. 35 Jahre alt. Sie kommt wegen vergeblichem Kinderwunsch seit 10 Jahren, ist kerngesund bis auf die Entfernung eines symptomlosen Myoms (gutartiger Tumor der Gebärmutter), als sie den Gynäkologen wegen Kinderwunsch aufsucht. Leider zeigt die Basaltemperatur, die Maria sehr gewissenhaft durchführt, obwohl sie kaum schreiben kann, dass sie keinen Eisprung hat, zumindest bis jetzt. Mehr Diagnostik und Therapien kommen nicht in Betracht, aus Geldgründen bzw. weil sie in Ghana gar nicht zur Verfügung stehen. Von einer Bekannten weiss ich, dass sich Marias Mann, dessen Spermiogramm im übrigen nicht in Ordnung ist, auch auf Druck der Famile von seiner Frau trennen will. Könnt Ihr Euch das Damoklesschwert über Maria vorstellen? Trotzdem ist Maria immer vergnügt, wirklich kein äußerliches Zeichen von Sorge oder Angst. Aber bei der ersten energetischen Behandlung, die ich Maria vorschlug, weil ich außer dem hoffentlich richtigen homöopathischen Mittel nicht viel für sie machen kann, habe ich selten eine so absolute und hoffnugslose Verzweiflung gespürt. Ich musste weinen und dann konnte sie in meinen Armen endlich auch mal weinen. Jetzt kommt sie sehr pünktlich jeden Mittwoch zur energetischen Behandlung und Fußzonenreflexmassage.
Ich wünsche mir sehr, dass ich irgendwann einmal mehr für Frauen wie Amina und Maria tun kann.

Euch wünsche ich ein schönen Frühling. Mit vielen Grüßen
Anne


PS Bericht und Bilder (bald wieder neue) unter www.ghanafreunde.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen