Liebe Verwandte, Freunde und
Interessierte der Projekte in Takoradi,
unvorgesehene Umstände haben mich von Takoradi für etwa
vier Wochen nach Guinea-Bissau verschlagen, einem Land in Westafrika, von
dessen Existenz ich bis jetzt nicht mehr wußte als gerade den Namen. Weil mich
das kleine Land mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern gerade beschäftigt, möchte
ich Euch von dort erzählen, bevor ich Euch vom Stand der Dinge in Takoradi berichte.
Guinea-Bissau, eines der ärmsten Länder weltweit, war bis
1972 portugiesische Kolonie, was noch überall spürbar ist. (Ghana erlangte als
erstes afrikanisches Land 1958 politische Unabhängigkeit von England). An
Portugal erinnert das Essen mit viel
Kartoffeln und Stangenweißbrot (in Ghana werden die relativ teuren Kartoffeln
fast nur in Restaurants angeboten; das ghanaische „tea“- oder „sugarbread“ mit
etwas Zucker ist nicht anderes als das englische „pappige“ Toastbrot). Viele
der fast ausschließlich importierten Konsumgüter stammen aus Portugal, wie das
einzige saubere Trink-wasser, das in Plastikflaschen abgefüllt überall zum
Verkauf angeboten wird. Portugiesischen Baustil haben die größtenteils völlig
heruntergekommenen Regierungsgebäude und Wohnhäuser der ehe-maligen Kolonialherren und die katholische Kirche in der
Hauptstadt Bissau (mehr Dorf als Stadt mit
wenigen geteerten Straßen, uralten Mercedes-Taxis und vielen Menschen,
die am Straßenrand palavern, weil es so wenig Arbeit gibt). An Portugal
erinnert die Siesta in der Mittagszeit (undenkbar im von ersten Morgengrauen
bis zum späten Abend geschäftigen Takoradi) und „Kriol“, die von den meisten
Einheimischen benutzte Sprache, einer Mischung aus verschiedenen
Stammessprachen und Portugiesisch. Wegen der Ähnlichkeit zum Französischen kann
ich in Gesprächen einzelne Brocken verstehen und mich zur Not verständigen. Das
ist überraschend für mich, weil es mir leider immer noch schwer fällt,
Unterhaltungen in Fanti, der in Takoradi üblichen Sprache, zu verfolgen. In
Bissau fallen im Straßenbild immer wieder Weiße, vor allem Portugiesen auf.
Außerhalb, wo ich mich meistens aufhalte, bin ich die einzige „Branca“, wie mir
vor allem die vielen Kinder bei jedem Schritt aus dem Haus entgegenrufen. In
Ghana tönt es von allen Seiten „Obruni“ (Weiße), oder „Obruni koko“ (rote
Weiße, weil unser Gesicht in der Hitze rot aussieht). Mit sehr sehr wenigen
Ausnahmen ist es in beiden Ländern ein freundlicher Gruß. Manchmal gibt es
einen kleinen Wettstreit mit Gekicher unter den Kindern darüber, wer sich als
erstes traut, mich anzusprechen oder zu berühren. Für mich ist das ständige
Grüßen und Winken höchst anstrengend, wenn ich nicht gut gelaunt bin und meine
Ruhe haben will. In Guinea muss ich noch viel mehr grüßen als in Ghana, weil
deutlich weniger Kinder zur Schule
gehen. Die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs in Guinea liegt bei 2 bis 3
Jahren.
Ich arbeite hier mit Anita,
einer Dorfhelferin zusammen, die
sehr froh ist, dass sie ärztliche Unterstützung hat. Die Patienten kommen mit
denselben Beschwerden wie in Ghana, mit tropen-typischen Erkrankungen wie
Durchfall und Malaria, aber genauso wie in Deutschland mit Bluthoch-druck,
Kopfschmerzen, Blasen-, Scheidenentzündung, Ischias und Schwindel. Einige der
Kranken, wie die kleine Amara mit
drohendem Darmverschluss (wahrscheinlich auf Grund von Würmern) oder den jungen
Mantou mit seiner schon wochenlang
(!) angeschwollenen Wange und sicher völlig vereitertem Backenzahn, müssen wir
gleich ins einzige Krankenhaus von Bissau weiterschicken, in der Hoffnung, dass
die Familie genügend Geld hat, die dortige Behandlung zu bezahlen.
In bestimmten Fällen versuchen wir möglichst unauffällig
finanziell auszuhelfen. Abends bekomme ich immer mal wieder Besuch vom Militär,
wie vom Kapitanio mit Ehefrau Elsa, die gerade ihre dritte Fehlgeburt
hinter sich hatte, oder von Fernando,
einem Soldat mit Schlaflosigkeit und großer Sorge wegen seiner Verstopfung.
Guinea hat erst Mitte April wieder einen Militärputsch mit Toten und Verletzten
hinter sich, nichts Besonderes in diesem Land, das neben zahlreichen
Regierungs-wechseln auch einen Bürgerkrieg erleben musste. Auf Dauer hier zu
leben, ist etwas deprimierend: Eine der Haupteinnahmequellen der wenigen
Reichen ist der Drogenhandel von Südamerika nach Europa. Außer dem Anbau von
Feldfrüchten zum Eigenbedarf und von Cashew-Nüssen, dem einzigen Exportgut,
gibt es kaum Arbeit, aber Prostitution und Alkoholismus; ich spüre viel weniger Zuversicht und
Aufbruchstimmung als in Ghana.
Das Alltagsleben ist anstrengend: Manchmal gibt es tagelang wenig oder kein
Wasser (kenne ich zur Genüge aus Takoradi, aber in Guinea haben nur wenige
Häuser Wasser aus der Leitung und das Wasser muss von oft weit entfernten
Brunnen angeschleppt werden). Guinea hat kein eigenes Kraftwerk; der gesamte
Strom des Landes wird ausschließlich von Generatoren produziert. In Ghana haben
wir stunden-, manchmal tageweise Stromausfälle, hier kommt fast nie Strom aus der Leitung. Ein Kühlschrank ist deswegen
unnötiger Luxus. Die wenigen Hotels und öffentlichen Gebäude wie das der UNO in
Bissau haben ihre eigenen Generatoren. Das Haus, in dem ich wohne, hat auch
einen kleinen Generator, der aber - wenn er funktioniert - so viel Lärm
verursacht, dass ich Kerzenlicht eindeutig vorziehe. Zum Glück liegt Bissau
weiter nördlich, so dass es eine gute Stunde später und langsamer dunkel wird
als in Ghana, das sich in Äquatornähe befindet.
Hier hat auch noch nicht wie in Takoradi die Regenzeit
begonnen. Seit Mitte Mai regnet es dort täglich viele Stunden. In Effiakuma,
„meinem“ Viertel quellen die Abwasserkanäle über, die Wege zwischen den Hütten
werden zumindest während des Regens zu Bächen. Wegen der vielen undichten
Wellblechdächer stellen die Leute in den Hütten überall Schüsseln und Eimer
auf. Da die Regengüsse oft in wahren Sturzbächen mit heftigen Sturmböen vom
Himmel prasseln, ist es ratsam, zu Hause zu bleiben. Ich hatte vor meiner
Abreise nach Guinea deswegen weniger Patienten als gewöhnlich. Beim ersten
kurzen Sonnenstrahl beginnt wieder emsiges Leben; die Leute holen die versäumte
Arbeit nach, bieten ihr Gemüse und sonstige Waren zum Verkauf an, waschen ihre
Wäsche usw. (das Trocknen ist bei dem vielen Regen und der hohen
Luftfeuchtigkeit nicht einfach!)
Mehr
Patienten gibt es wieder ab Ende Juni, wenn die
Regenzeit länger andauert. Wegen der
Vermehrung von Mücken durch die Feuchtigkeit nimmt die Malariahäufigkeit
zu. Gut, dass wir noch vor der Regenzeit unseren eigenen Artimisiatee geerntet und getrocknet haben. Weil viele Menschen
sich nicht ausreichend gegen die geringfügig (!) kühleren Temperaturen schützen
(nachts genügt eine dünne Decke, morgens und abends ein Sweatshirt), treten
vermehrt Atemwegserkran-kungen auf. Ich bin schon gespannt, was auf mich
zukommt, wenn ich bald zurückkehre....
Vor allem bin ich natürlich gespannt, wann ich endlich
meine offizielle Berufserlaubnis erhalte, die ich immer noch nicht habe, obwohl
ich täglich als Ärztin arbeite. Sie ist notwendige Voraussetzung für die
Genehmigung zum Baubeginn des Gesundheitszentrums. Einstweilen bleibt
mir und leider auch Euch, die Ihr sicher schon auf Fortschritte wartet, nichts
anderes übrig, als uns in „abotar“ (Geduld) zu üben, einer Tugend, für die es
in ghanaischen Schulbüchern leuchtende Beispiele von besonders geduldigen
Kindern gibt und die von allen Respektpersonen für sehr wichtig erachtet wird.
(Ich ernte immer wohlwollende Zustimmung, wenn ich in Gesprächen einfliessen
lasse, dass ich versuche, geduldiger zu werden.)
Erfreulich ist, dass wir für das Projekt „Mikrokredite in Takoradi“ alle
bürokratischen Hürden über-wunden haben und bis jetzt Kleinkredite von 100 bis
500 Euro im Wert von insgesamt 5.500,- Euro vergeben konnten, z.B. an Malik, der mit 500 Euro in der Ölfirma
zum Techniker ausgebildet wird, an Samira
250 Euro für den Anbau von Nonibäumen, die in Takoradi fast alle dem
Häuserbau weichen mussten, nach deren Früchten es inzwischen aber eine starke
Nachfrage gibt, weil sie gesund und „in“ sind, 500 Euro an Anti, die damit ihren Import von Tomaten und Karotten aus Burkina
Faso nach Ghana ausbaut, 80 Euro für Raman,
damit er sich zur Abschlussprüfung der Krankenpflegerausbil-dung anmelden kann,
400 Euro an die Frauen unseres Projekts
„Garküche in Takoradi“ für ein neues Dach in einer ihrer drei Imbissbuden,
450 Euro an Hussein und Kofi für die dringend notwendige
Reparatur an dem von Erlanger Freunden gespendeten VW-Bus, den die beiden seit
einem Jahr als Trotro, eine Art Taxi, fahren.
Zum Ende meines Briefes bitte ich Euch wieder um Hilfe:
für den Bau des
Gesundheitszentrums, mit dem wir hoffentlich bald beginnen können und für
den wir noch etwa 20.000,- Euro benötigen,
für unser Mikrokreditprojekt,
damit wir noch mehr engagierte Frauen und Männer mit einem Darlehen bei der
Finanzierung einer sinnvollen Ausbildung oder einer guten Idee für ein kleines
Unternehmen unterstützen können.
Ich wünsche Euch noch einen wunderbaren Sommer.
Mit vielen Grüßen
Anne
Spenden bitte mit Angabe von Namen und Adresse auf
das Konto 100-606405 bei der
VR-Bank Erlangen EHH BLZ 763 600 33, Kontoinhaber:
Ghana-Freunde e.V.
Verwendungszweck: Takoradi
Auf unser Website www. ghanafreunde.de,
Stichwort Takoradi gibt es immer
aktuelle Berichte aus Takoradi und mehr Fotos. In Guinea-Bissau ist es
ratsamer, nicht zu fotografieren.
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