Dienstag, 26. Juni 2012

Rundbrief Juni 2012


Liebe Verwandte, Freunde und Interessierte der Projekte in Takoradi,

unvorgesehene Umstände haben mich von Takoradi für etwa vier Wochen nach Guinea-Bissau verschlagen, einem Land in Westafrika, von dessen Existenz ich bis jetzt nicht mehr wußte als gerade den Namen. Weil mich das kleine Land mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern gerade beschäftigt, möchte ich Euch von dort erzählen, bevor ich Euch vom Stand der Dinge in Takoradi berichte.
Guinea-Bissau, eines der ärmsten Länder weltweit, war bis 1972 portugiesische Kolonie, was noch überall spürbar ist. (Ghana erlangte als erstes afrikanisches Land 1958 politische Unabhängigkeit von England). An Portugal erinnert das Essen mit viel Kartoffeln und Stangenweißbrot (in Ghana werden die relativ teuren Kartoffeln fast nur in Restaurants angeboten; das ghanaische „tea“- oder „sugarbread“ mit etwas Zucker ist nicht anderes als das englische „pappige“ Toastbrot). Viele der fast ausschließlich importierten Konsumgüter stammen aus Portugal, wie das einzige saubere Trink-wasser, das in Plastikflaschen abgefüllt überall zum Verkauf angeboten wird. Portugiesischen Baustil haben die größtenteils völlig heruntergekommenen Regierungsgebäude und Wohnhäuser der ehe-maligen Kolonialherren und die katholische Kirche in der Hauptstadt Bissau (mehr Dorf als Stadt mit  wenigen geteerten Straßen, uralten Mercedes-Taxis und vielen Menschen, die am Straßenrand palavern, weil es so wenig Arbeit gibt). An Portugal erinnert die Siesta in der Mittagszeit (undenkbar im von ersten Morgengrauen bis zum späten Abend geschäftigen Takoradi) und „Kriol“, die von den meisten Einheimischen benutzte Sprache, einer Mischung aus verschiedenen Stammessprachen und Portugiesisch. Wegen der Ähnlichkeit zum Französischen kann ich in Gesprächen einzelne Brocken verstehen und mich zur Not verständigen. Das ist überraschend für mich, weil es mir leider immer noch schwer fällt, Unterhaltungen in Fanti, der in Takoradi üblichen Sprache, zu verfolgen. In Bissau fallen im Straßenbild immer wieder Weiße, vor allem Portugiesen auf. Außerhalb, wo ich mich meistens aufhalte, bin ich die einzige „Branca“, wie mir vor allem die vielen Kinder bei jedem Schritt aus dem Haus entgegenrufen. In Ghana tönt es von allen Seiten „Obruni“ (Weiße), oder „Obruni koko“ (rote Weiße, weil unser Gesicht in der Hitze rot aussieht). Mit sehr sehr wenigen Ausnahmen ist es in beiden Ländern ein freundlicher Gruß. Manchmal gibt es einen kleinen Wettstreit mit Gekicher unter den Kindern darüber, wer sich als erstes traut, mich anzusprechen oder zu berühren. Für mich ist das ständige Grüßen und Winken höchst anstrengend, wenn ich nicht gut gelaunt bin und meine Ruhe haben will. In Guinea muss ich noch viel mehr grüßen als in Ghana, weil deutlich weniger Kinder zur  Schule gehen. Die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs in Guinea liegt bei 2 bis 3 Jahren.       
Ich arbeite hier mit Anita, einer Dorfhelferin zusammen, die sehr froh ist, dass sie ärztliche Unterstützung hat. Die Patienten kommen mit denselben Beschwerden wie in Ghana, mit tropen-typischen Erkrankungen wie Durchfall und Malaria, aber genauso wie in Deutschland mit Bluthoch-druck, Kopfschmerzen, Blasen-, Scheidenentzündung, Ischias und Schwindel. Einige der Kranken, wie die kleine Amara mit drohendem Darmverschluss (wahrscheinlich auf Grund von Würmern) oder den jungen Mantou mit seiner schon wochenlang (!) angeschwollenen Wange und sicher völlig vereitertem Backenzahn, müssen wir gleich ins einzige Krankenhaus von Bissau weiterschicken, in der Hoffnung, dass die Familie genügend Geld hat, die dortige Behandlung zu bezahlen.
In bestimmten Fällen versuchen wir möglichst unauffällig finanziell auszuhelfen. Abends bekomme ich immer mal wieder Besuch vom Militär, wie vom Kapitanio mit Ehefrau Elsa, die gerade ihre dritte Fehlgeburt hinter sich hatte, oder von Fernando, einem Soldat mit Schlaflosigkeit und großer Sorge wegen seiner Verstopfung. Guinea hat erst Mitte April wieder einen Militärputsch mit Toten und Verletzten hinter sich, nichts Besonderes in diesem Land, das neben zahlreichen Regierungs-wechseln auch einen Bürgerkrieg erleben musste. Auf Dauer hier zu leben, ist etwas deprimierend: Eine der Haupteinnahmequellen der wenigen Reichen ist der Drogenhandel von Südamerika nach Europa. Außer dem Anbau von Feldfrüchten zum Eigenbedarf und von Cashew-Nüssen, dem einzigen Exportgut, gibt es kaum Arbeit, aber Prostitution und Alkoholismus; ich spüre viel weniger Zuversicht und Aufbruchstimmung als in Ghana. Das Alltagsleben ist anstrengend: Manchmal gibt es tagelang wenig oder kein Wasser (kenne ich zur Genüge aus Takoradi, aber in Guinea haben nur wenige Häuser Wasser aus der Leitung und das Wasser muss von oft weit entfernten Brunnen angeschleppt werden). Guinea hat kein eigenes Kraftwerk; der gesamte Strom des Landes wird ausschließlich von Generatoren produziert. In Ghana haben wir stunden-, manchmal tageweise Stromausfälle, hier kommt fast nie Strom aus der Leitung. Ein Kühlschrank ist deswegen unnötiger Luxus. Die wenigen Hotels und öffentlichen Gebäude wie das der UNO in Bissau haben ihre eigenen Generatoren. Das Haus, in dem ich wohne, hat auch einen kleinen Generator, der aber - wenn er funktioniert - so viel Lärm verursacht, dass ich Kerzenlicht eindeutig vorziehe. Zum Glück liegt Bissau weiter nördlich, so dass es eine gute Stunde später und langsamer dunkel wird als in Ghana, das sich in Äquatornähe befindet.
Hier hat auch noch nicht wie in Takoradi die Regenzeit begonnen. Seit Mitte Mai regnet es dort täglich viele Stunden. In Effiakuma, „meinem“ Viertel quellen die Abwasserkanäle über, die Wege zwischen den Hütten werden zumindest während des Regens zu Bächen. Wegen der vielen undichten Wellblechdächer stellen die Leute in den Hütten überall Schüsseln und Eimer auf. Da die Regengüsse oft in wahren Sturzbächen mit heftigen Sturmböen vom Himmel prasseln, ist es ratsam, zu Hause zu bleiben. Ich hatte vor meiner Abreise nach Guinea deswegen weniger Patienten als gewöhnlich. Beim ersten kurzen Sonnenstrahl beginnt wieder emsiges Leben; die Leute holen die versäumte Arbeit nach, bieten ihr Gemüse und sonstige Waren zum Verkauf an, waschen ihre Wäsche usw. (das Trocknen ist bei dem vielen Regen und der hohen Luftfeuchtigkeit nicht einfach!)
Mehr Patienten gibt es wieder ab Ende Juni, wenn die Regenzeit länger andauert. Wegen der  Vermehrung von Mücken durch die Feuchtigkeit nimmt die Malariahäufigkeit zu. Gut, dass wir noch vor der Regenzeit unseren eigenen Artimisiatee geerntet und getrocknet haben. Weil viele Menschen sich nicht ausreichend gegen die geringfügig (!) kühleren Temperaturen schützen (nachts genügt eine dünne Decke, morgens und abends ein Sweatshirt), treten vermehrt Atemwegserkran-kungen auf. Ich bin schon gespannt, was auf mich zukommt, wenn ich bald zurückkehre....
Vor allem bin ich natürlich gespannt, wann ich endlich meine offizielle Berufserlaubnis erhalte, die ich immer noch nicht habe, obwohl ich täglich als Ärztin arbeite. Sie ist notwendige Voraussetzung für die Genehmigung zum Baubeginn des Gesundheitszentrums. Einstweilen bleibt mir und leider auch Euch, die Ihr sicher schon auf Fortschritte wartet, nichts anderes übrig, als uns in „abotar“ (Geduld) zu üben, einer Tugend, für die es in ghanaischen Schulbüchern leuchtende Beispiele von besonders geduldigen Kindern gibt und die von allen Respektpersonen für sehr wichtig erachtet wird. (Ich ernte immer wohlwollende Zustimmung, wenn ich in Gesprächen einfliessen lasse, dass ich versuche, geduldiger zu werden.)

Erfreulich ist, dass wir für das Projekt „Mikrokredite in Takoradi“ alle bürokratischen Hürden über-wunden haben und bis jetzt Kleinkredite von 100 bis 500 Euro im Wert von insgesamt 5.500,- Euro vergeben konnten, z.B. an Malik, der mit 500 Euro in der Ölfirma zum Techniker ausgebildet wird, an Samira 250 Euro für den Anbau von Nonibäumen, die in Takoradi fast alle dem Häuserbau weichen mussten, nach deren Früchten es inzwischen aber eine starke Nachfrage gibt, weil sie gesund und „in“ sind, 500 Euro an Anti, die damit ihren Import von Tomaten und Karotten aus Burkina Faso nach Ghana ausbaut, 80 Euro für Raman, damit er sich zur Abschlussprüfung der Krankenpflegerausbil-dung anmelden kann, 400 Euro an die Frauen unseres Projekts „Garküche in Takoradi“ für ein neues Dach in einer ihrer drei Imbissbuden, 450 Euro an Hussein und Kofi für die dringend notwendige Reparatur an dem von Erlanger Freunden gespendeten VW-Bus, den die beiden seit einem Jahr als Trotro, eine Art Taxi, fahren. 

Zum Ende meines Briefes bitte ich Euch wieder um Hilfe:
für den Bau des Gesundheitszentrums, mit dem wir hoffentlich bald beginnen können und für den wir noch etwa 20.000,- Euro benötigen,
für unser Mikrokreditprojekt, damit wir noch mehr engagierte Frauen und Männer mit einem Darlehen bei der Finanzierung einer sinnvollen Ausbildung oder einer guten Idee für ein kleines Unternehmen unterstützen können. 
Ich wünsche  Euch noch einen wunderbaren Sommer.
Mit vielen Grüßen  
                    
                                  Anne         

Spenden bitte mit Angabe von Namen und Adresse auf das Konto 100-606405 bei der
VR-Bank Erlangen EHH BLZ 763 600 33, Kontoinhaber: Ghana-Freunde e.V. 
Verwendungszweck: Takoradi

Auf unser Website www. ghanafreunde.de, Stichwort Takoradi gibt es immer aktuelle Berichte aus Takoradi und mehr Fotos. In Guinea-Bissau ist es ratsamer, nicht zu fotografieren. 

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