Montag, 13. August 2012

August 2012


Meine Lieben,

bevor ich etwas später als geplant nach Ghana zurückkehre, will ich Euch noch an ein paar  Eindrücken aus Guinea-Bissau teilhaben lassen.
Die Regenzeit hat jetzt hier auch begonnen, Vorteil: Es ist etwas kühler, großer Nachteil: Es gibt noch mehr Moskitos (und damit noch mehr Malariafälle) und Fliegen, von denen viele ins Haus kommen, weil das Haus, in dem ich wohne, keine Trapdoor hat wie in Ghana und ich leider keine Patsche aus Takoradi mitgenommen habe. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie  geduldig Afrikaner sind  und wie wenig sie über die widrigen Umstände schimpfen oder jammern (ich habe da eigendlich keine Chance zum Klagen, z.B. über die lästigen Fliegen).
Nur wenn ich Patienten direkt  anspreche, rücken sie vorsichtig mit ihren Problemen heraus wie z.B. Isaak, 27 Jahre alt; er leidet seit mehr als 5 Jahren an starken, bis jetzt therapieresistenten Magenschmerzen. Er spricht fließend Englisch und Französisch und ist einer meiner freiwilligen Helfer beim Übersetzen in den Gesprächen mit Patienten. Er hat sechs Mal die Aufnahmeprüfung zur einzigen Medical School für Ärzte in Guinea-Bissau gemacht. Trotz bester Noten wurde er nie genommen - er hat leider keine Beziehungen zur politischen Klasse. Er unterricht im Gymnasium von Bissau als Lehrer, die in Guinea noch schlechter bezahlt werden als in Ghana. Weil der Vater nicht mehr lebt, ist er als Ältester für seine Geschwister verantwortlich. Oder Dominga: Sie leidet an starken Kofschmerzen und Symptomen, die eine chronische Hepatitis vermuten lassen. Ihr Mann ist kurz nach der Geburt der jüngsten Tochter verschwunden. Jetzt versucht sie mit ihrem Lohn als Angestellte in einem Büro und Näharbeiten sich und ihre vier Kinder zu ernähren und das Schulgeld zu bezahlen. Bei den Kopfschmerzen konnte ich ihr sicher helfen: Irgendwann erwähnte sie während der Anamnese in einem Nebensatz, dass das Nähen seit mehreren Jahren für sie sehr anstrengend geworden ist, weil sie so schlecht sieht. Ich ließ sie meine Lesebrille ausprobieren, mit der sie auf einmal wunderbar sehen konnte. Wir waren beiden sehr froh, dass ich eine, nicht an meine Augen angepasste, Brille für ihre Altersweitsichtigkeit dabei hatte, die ich ihr geben konnte.
Die 20-jährige Mariama wurde von ihrer Tante zu mir geschickt. Sie kann seit sechs Jahren nur wenig essen und erbricht oft nach dem Essen. Sie ist hübsch, aber wirklich sehr dünn, kaut an ihren Nägeln und schaut ständig auf den Boden. Bei uns würde man auch an Magersucht denken. Auf meine vorsichtigem Fragen erzählt sie nach einiger Zeit in wenigen trockenen Worten (nur am Schluss weint sie lautlos), dass sie nicht nur an Magen-, sondern auch täglich an starken Kopfschmerzen leidet. Sie ist seit ihrem 3. Lebensjahr Vollwaise und lebt bei einem Onkel, der mehrere Frauen hat und ein ziemlicher Tyrann sein muss. Er erlaubt ihr nicht, bei der Tante zu wohnen, die sie gerne zu sich nehmen würde, läßt sie alle Drecksarbeit machen, das Wasser von einem weit entfernten Brunnen anschleppen, die Wäsche waschen und „zum Dank“ wird sie angeschreien.
Ein interessante Patientin ist die ältere Sabbati. Sie war Krankenschwester im Unabhängigkeitskampf gegen portugiesischen Kolonialherren. Die kriegerischen Auseinan-dersetzungen begann 1959, als Soldaten auf streikende Hafenarbeiter schossen, die ihren Lohn eingefordert hatten, und 50 Arbeiter starben. Auf meine Nachfrage erzählte sie mir ein bißchen von dem Guilleriakrieg, der bis zur Anerkennung der politschen Unabhängigkeit  durch das demokratisch gewordene Portugal  1974 dauerte (nicht 1972, s. mein erster Brief aus Bissau), wie sie sich im Dschungel versteckten, oft weite Strecken zu Fuß auf der Suche nach neuen Verstecken zurücklegten, nichts zum Essen, kaum Medikamente und Ausrüstung hatten, aber ständig Angst vor den Überfällen der Portugiesen, die viele von ihnen töteten. Ihre Stärke sei ihre „Natural power“, ihre spirituelle Kraft gewesen, die sie anscheinend oft auch vor den Schüssen der Portugiesen schützte. Auch andere Patienten erzählen manchmal, wie sie von Kämpfen und Verhaftungen träumen, die ja mit dem zahlreichen Militärcoups auch nach dem Bürgerkrieg immer wieder vorkamen..... 
Es sieht malerisch aus, wenn die Männer morgens in Gruppen, scherzend zu ihren Feldern marschieren, eine Art Schaufel geschultert, die einen fast mehr an einen Speer als eine Schaufel denken lässt. Der Schaft ist lang, das Vorderteil ist deutlich schmaler aber länger als ein Spaten und besteht aus Holz, nur die Spitze und ein kleiner Teil seitlich der Spitze sind von Metall eingefasst. Ich habe nie einen Pflug oder gar Traktor auf den kleinen Feldern gesehen, auf denen seit dem Regen Reis, Casava, Bohnen und Mais wächst. Wie gesagt malerisch, aber man versteht, warum so viele Nahrungsmittel importiert werden müssen  und entsprechend teuer sind, auch fast alles Gemüse einschließlich Tomaten und rotem Pfeffer, den Afrikaner dringend zum Essen brauchen. Günstig sind Casava, aus dem man einen dicken Brei macht (den ich nicht essen kann), Mangos (sind sehr gut) und Fisch, von dem die Fischer vor der Küste von Guinea anscheinend noch relativ viel finden, wenn sie mit ihren kleinen Booten, oft noch ohne Motor, aufs Meer fahren. Es gibt noch ein anderes Obst, das auch billig ist und von den Leuten hier sehr viel gegessen wird. Es ist eine Frucht mit Kernen, die von wenigem saurem Fruchtfleich umgeben sind und von den Leuten wie Bonbons gelutscht werden, der Rest ist nicht geniesbar.

Erstaunlicherweise joggen hier relativ viel Leute und anscheinend besonders gern, wenn der   heftige tropische Regen vom Himmel prasselt; jedenfalls rennen dann viele, auch Frauen und Kinder durch die Gegend. Alles wird sofort völlig durchnässt, auch meine Turnschuhe triefen (von den Leuten laufen viele barfuß oder mit Plastiksandalen), weil die Wege in kürzester Zeit in Sturzbäche verwandelt werden. Leider trocknet bei der Feuchtigkeit alles sehr schlecht, aber sonst ist es wirklich ein tolles Gefühl, im tropischen Regen zu rennen und die Leute zu beobachten, die auch voller Begeisterung laufen.
Hier spielen ulkigerweise auch viele Mädchen und junge Frauen Fußball und ich habe immer wieder welche beim freundschaftlichen Ringkampf beobachtet.
Die Frauen tragen hier nicht wie in Ghana ein Tuch um den Kopf (immer sehr passend zur Kleidung), sondern haben alle kunstvolle Frisuren (oft zusätzlich mit künstlichem Haar). Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie die Frauen sich gegenseitig frisieren und was sie für verschiedene Möglichkeiten finden, ihr Haar zu verändern, auch die kleinen und vor allem die jungen Mädchen, die in Ghana mit kurzgeschorene Kopf herumlaufen, zumindest diejenigen, die in die Schule gehen (ist wie die Schuluniform vorgeschrieben) und das sind sehr viel mehr als in Guinea. In Ghana haben die Frauen unter den Tüchern auch schicke Frisuren, aber nicht so vielfältig wie in Guinea.
Es gibt hier wirklich sehr viele Kinder, und ich muss noch mehr als zu Beginn meiner Zeit in Bissau auf ihre Branco- (Weiss), Branco-Belele- (Weiss-Weiss), Amiga- oder Anna, Anna-Rufe reagieren.  Es beschämt mich immer wieder, wie die Kinder sich schon freuen, wenn sie mich kommen sehen und wir dann Hände schütteln und uns grüßen (morgens „Bomdias“, ab 12 Uhr „Bottari“). Mehr kann ich leider auf Grund meiner mangeln-den Criol-Kenntnisse nicht mit ihnen sprechen. In der Nachbarschaft, wo sie mich gut kennen,  sprechen die Kinder auf Criol mit mir und ich rede in Englisch, auch eine Art von Kommunikation, die irgendwie funktioniert.
Gute Stimmung herrscht, wenn ich abends manchmal mit den Frauen und Kindern aus der Nachbarschaft tanze zu Musik aus einem Handy oder zu Liedern, die die Frauen singen.

Seit dem Regen ist eine Lagune mit Fluss zum Meer  zu einem großen See geworden, die Vegitation wuchert, man kann den Pflanzen fast beim Wachsen zusehen. Es gibt viele Vögel und neulich ist auch eine fette Schlange an mir vorbeigekrochen, zum Glück in ausreichender Entfernung. Angeblich gibt es jetzt massenweise Schlangen gibt, auf dem Weg vor unserem Haus wurde auch eine von den Nachbarn gesichtet. Fast alle (oder sogar alle?) Afrikaner, die ich kenne, haben große Angst vor Schlangen, was zumindest teilweise sicher berechtigt ist, weil es vor allem auf dem Land immer wieder zu Vergiftungsfällen kommt, aber manchmal muss ich innerlich über die etwas allzu große Angst schmunzeln genauso wie über die Angst der Ghanaer vor Hunden. Die Guineabissauer (?) scheinen sich nicht vor Hunden zu fürchten, vielleicht weil zu viele frei herumlaufen, um die sich kein Mensch kümmert. Manche haben wirklich scheußliche Wunden, besonders gesund sieht keiner aus. Außer den Hunden laufen überall (auch direkt vor den Hütten und Häusern) jede Menge Schweine mit ihren Ferkeln herum, die einen zufriedenen Eindruck machen und gleich warnend grunzen, wenn sie jemand stört, sowie Ziegen, Hühner und wenige Kühe, die mit ihren großen, Mondsichel ähnlichen Hörnern und glattem, grauem oder weißem Fell schön aussehen.  Neben den Schlangen gibt es seit dem Regen viele Frösche, die nachts ein unglaublich lautes Gequake mit verschiedensten Tönen veranstalten (stört mich zum Glück nicht beim Schlafen) und von denen eine kleine Sorte auch tagsüber überall herumhüpft. Überall kriechen Raupen mit langen Haaren herum, von den auch viele irgendwie den Weg ins Haus finden; heute morgen war eine im Bad.  Es flattern viele Schmetterlinge durch die Gegend und an einem Baum habe ich eine Orchideenart mit wunderschönen kleinen Blüten entdeckt. Die riesigen Urwaldbäume, von denen es in Takoradi-Effiakuma, wo ich zur Zeit wohne, keine mehr gibt, beeindrucken mich jeden Tag wieder.    

Zum Skypen und Email-Versenden, aber auch zum Aufladen meines Notebooks und Handys wandere ich immer zu einem bestimmten InternetCafe, dem einzigen in meiner Nähe. Ich nenne es meine „Internet Spelunke“, ohne Fenster  mit unmöglichen Tischen und Stühlen, aber es gibt Strom (von einem relativ leisen Generator) und die jungen Burschen, die das Cafe betreiben, sind sehr nett und hilfsbereit. Als musikalische Begleitung hören wir immer die gleichen Lieder von Tracy Chapman, bzw  ist heute zum ersten Mal ununterbrochen „Time to say good bye“ an der Reihe  ...

Viele Grüße, alles Gute und noch schöne Sommertage            Anne

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