Meine Lieben,
bevor ich etwas später als
geplant nach Ghana zurückkehre, will ich Euch noch an ein paar Eindrücken aus Guinea-Bissau teilhaben lassen.
Die Regenzeit hat jetzt
hier auch begonnen, Vorteil: Es ist etwas kühler, großer Nachteil: Es gibt noch
mehr Moskitos (und damit noch mehr Malariafälle) und Fliegen, von denen viele
ins Haus kommen, weil das Haus, in dem ich wohne, keine Trapdoor hat wie in
Ghana und ich leider keine Patsche aus Takoradi mitgenommen habe. Ich finde es
immer wieder erstaunlich, wie geduldig
Afrikaner sind und wie wenig sie über
die widrigen Umstände schimpfen oder jammern (ich habe da eigendlich keine
Chance zum Klagen, z.B. über die lästigen Fliegen).
Nur wenn ich Patienten
direkt anspreche, rücken sie vorsichtig
mit ihren Problemen heraus wie z.B. Isaak, 27 Jahre alt; er leidet seit mehr
als 5 Jahren an starken, bis jetzt therapieresistenten Magenschmerzen. Er
spricht fließend Englisch und Französisch und ist einer meiner freiwilligen
Helfer beim Übersetzen in den Gesprächen mit Patienten. Er hat sechs Mal die
Aufnahmeprüfung zur einzigen Medical School für Ärzte in Guinea-Bissau gemacht.
Trotz bester Noten wurde er nie genommen - er hat leider keine Beziehungen zur
politischen Klasse. Er unterricht im Gymnasium von Bissau als Lehrer, die in
Guinea noch schlechter bezahlt werden als in Ghana. Weil der Vater nicht mehr
lebt, ist er als Ältester für seine Geschwister verantwortlich. Oder Dominga:
Sie leidet an starken Kofschmerzen und Symptomen, die eine chronische Hepatitis
vermuten lassen. Ihr Mann ist kurz nach der Geburt der jüngsten Tochter
verschwunden. Jetzt versucht sie mit ihrem Lohn als Angestellte in einem Büro
und Näharbeiten sich und ihre vier Kinder zu ernähren und das Schulgeld zu
bezahlen. Bei den Kopfschmerzen konnte ich ihr sicher helfen: Irgendwann
erwähnte sie während der Anamnese in einem Nebensatz, dass das Nähen seit
mehreren Jahren für sie sehr anstrengend geworden ist, weil sie so schlecht
sieht. Ich ließ sie meine Lesebrille ausprobieren, mit der sie auf einmal
wunderbar sehen konnte. Wir waren beiden sehr froh, dass ich eine, nicht an
meine Augen angepasste, Brille für ihre Altersweitsichtigkeit dabei hatte, die
ich ihr geben konnte.
Die 20-jährige Mariama
wurde von ihrer Tante zu mir geschickt. Sie kann seit sechs Jahren nur wenig
essen und erbricht oft nach dem Essen. Sie ist hübsch, aber wirklich sehr dünn,
kaut an ihren Nägeln und schaut ständig auf den Boden. Bei uns würde man auch
an Magersucht denken. Auf meine vorsichtigem Fragen erzählt sie nach einiger
Zeit in wenigen trockenen Worten (nur am Schluss weint sie lautlos), dass sie nicht
nur an Magen-, sondern auch täglich an starken Kopfschmerzen leidet. Sie ist
seit ihrem 3. Lebensjahr Vollwaise und lebt bei einem Onkel, der mehrere Frauen
hat und ein ziemlicher Tyrann sein muss. Er erlaubt ihr nicht, bei der Tante zu
wohnen, die sie gerne zu sich nehmen würde, läßt sie alle Drecksarbeit machen,
das Wasser von einem weit entfernten Brunnen anschleppen, die Wäsche waschen und
„zum Dank“ wird sie angeschreien.
Ein
interessante Patientin ist die ältere Sabbati. Sie war Krankenschwester im
Unabhängigkeitskampf gegen portugiesischen Kolonialherren. Die kriegerischen
Auseinan-dersetzungen begann 1959, als Soldaten auf streikende Hafenarbeiter
schossen, die ihren Lohn eingefordert hatten, und 50 Arbeiter starben. Auf
meine Nachfrage erzählte sie mir ein bißchen von dem Guilleriakrieg, der bis zur
Anerkennung der politschen Unabhängigkeit durch das demokratisch gewordene Portugal 1974 dauerte (nicht 1972, s. mein erster Brief aus Bissau), wie sie sich im
Dschungel versteckten, oft weite Strecken zu Fuß auf der Suche nach neuen Verstecken
zurücklegten, nichts zum Essen, kaum Medikamente und Ausrüstung hatten, aber
ständig Angst vor den Überfällen der Portugiesen, die viele von ihnen töteten.
Ihre Stärke sei ihre „Natural power“, ihre spirituelle Kraft gewesen, die sie
anscheinend oft auch vor den Schüssen der Portugiesen schützte. Auch andere
Patienten erzählen manchmal, wie sie von Kämpfen und Verhaftungen träumen, die
ja mit dem zahlreichen Militärcoups auch nach dem Bürgerkrieg immer wieder
vorkamen.....
Es sieht malerisch aus,
wenn die Männer morgens in Gruppen, scherzend zu ihren Feldern marschieren,
eine Art Schaufel geschultert, die einen fast mehr an einen Speer als eine
Schaufel denken lässt. Der Schaft ist lang, das Vorderteil ist deutlich
schmaler aber länger als ein Spaten und besteht aus Holz, nur die Spitze und
ein kleiner Teil seitlich der Spitze sind von Metall eingefasst. Ich habe nie
einen Pflug oder gar Traktor auf den kleinen Feldern gesehen, auf denen seit
dem Regen Reis, Casava, Bohnen und Mais wächst. Wie gesagt malerisch, aber man
versteht, warum so viele Nahrungsmittel importiert werden müssen und entsprechend teuer sind, auch fast alles
Gemüse einschließlich Tomaten und rotem Pfeffer, den Afrikaner dringend zum
Essen brauchen. Günstig sind Casava, aus dem man einen dicken Brei macht (den
ich nicht essen kann), Mangos (sind sehr gut) und Fisch, von dem die Fischer
vor der Küste von Guinea anscheinend noch relativ viel finden, wenn sie mit
ihren kleinen Booten, oft noch ohne Motor, aufs Meer fahren. Es gibt noch ein
anderes Obst, das auch billig ist und von den Leuten hier sehr viel gegessen
wird. Es ist eine Frucht mit Kernen, die von wenigem saurem Fruchtfleich
umgeben sind und von den Leuten wie Bonbons gelutscht werden, der Rest ist
nicht geniesbar.
Erstaunlicherweise joggen
hier relativ viel Leute und anscheinend besonders gern, wenn der heftige tropische Regen vom Himmel prasselt;
jedenfalls rennen dann viele, auch Frauen und Kinder durch die Gegend. Alles
wird sofort völlig durchnässt, auch meine Turnschuhe triefen (von den Leuten
laufen viele barfuß oder mit Plastiksandalen), weil die Wege in kürzester Zeit
in Sturzbäche verwandelt werden. Leider trocknet bei der Feuchtigkeit alles
sehr schlecht, aber sonst ist es wirklich ein tolles Gefühl, im tropischen
Regen zu rennen und die Leute zu beobachten, die auch voller Begeisterung
laufen.
Hier spielen ulkigerweise
auch viele Mädchen und junge Frauen Fußball und ich habe immer wieder welche
beim freundschaftlichen Ringkampf beobachtet.
Die Frauen tragen hier
nicht wie in Ghana ein Tuch um den Kopf (immer sehr passend zur Kleidung),
sondern haben alle kunstvolle Frisuren (oft zusätzlich mit künstlichem Haar).
Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie die Frauen sich gegenseitig
frisieren und was sie für verschiedene Möglichkeiten finden, ihr Haar zu
verändern, auch die kleinen und vor allem die jungen Mädchen, die in Ghana mit
kurzgeschorene Kopf herumlaufen, zumindest diejenigen, die in die Schule gehen
(ist wie die Schuluniform vorgeschrieben) und das sind sehr viel mehr als in
Guinea. In Ghana haben die Frauen unter den Tüchern auch schicke Frisuren, aber
nicht so vielfältig wie in Guinea.
Es gibt hier wirklich sehr
viele Kinder, und ich muss noch mehr als zu Beginn meiner Zeit in Bissau auf
ihre Branco- (Weiss), Branco-Belele- (Weiss-Weiss), Amiga- oder Anna, Anna-Rufe
reagieren. Es beschämt mich immer
wieder, wie die Kinder sich schon freuen, wenn sie mich kommen sehen und wir
dann Hände schütteln und uns grüßen (morgens „Bomdias“, ab 12 Uhr „Bottari“).
Mehr kann ich leider auf Grund meiner mangeln-den Criol-Kenntnisse nicht mit
ihnen sprechen. In der Nachbarschaft, wo sie mich gut kennen, sprechen die Kinder auf Criol mit mir und ich
rede in Englisch, auch eine Art von Kommunikation, die irgendwie funktioniert.
Gute Stimmung herrscht,
wenn ich abends manchmal mit den Frauen und Kindern aus der Nachbarschaft tanze
zu Musik aus einem Handy oder zu Liedern, die die Frauen singen.
Seit dem Regen ist eine
Lagune mit Fluss zum Meer zu einem
großen See geworden, die Vegitation wuchert, man kann den Pflanzen fast beim
Wachsen zusehen. Es gibt viele Vögel und neulich ist auch eine fette Schlange
an mir vorbeigekrochen, zum Glück in ausreichender Entfernung. Angeblich gibt
es jetzt massenweise Schlangen gibt, auf dem Weg vor unserem Haus wurde auch
eine von den Nachbarn gesichtet. Fast alle (oder sogar alle?) Afrikaner, die
ich kenne, haben große Angst vor Schlangen, was zumindest teilweise sicher
berechtigt ist, weil es vor allem auf dem Land immer wieder zu
Vergiftungsfällen kommt, aber manchmal muss ich innerlich über die etwas allzu
große Angst schmunzeln genauso wie über die Angst der Ghanaer vor Hunden. Die
Guineabissauer (?) scheinen sich nicht vor Hunden zu fürchten, vielleicht weil
zu viele frei herumlaufen, um die sich kein Mensch kümmert. Manche haben
wirklich scheußliche Wunden, besonders gesund sieht keiner aus. Außer den
Hunden laufen überall (auch direkt vor den Hütten und Häusern) jede Menge
Schweine mit ihren Ferkeln herum, die einen zufriedenen Eindruck machen und
gleich warnend grunzen, wenn sie jemand stört, sowie Ziegen, Hühner und wenige
Kühe, die mit ihren großen, Mondsichel ähnlichen Hörnern und glattem, grauem
oder weißem Fell schön aussehen. Neben
den Schlangen gibt es seit dem Regen viele Frösche, die nachts ein unglaublich
lautes Gequake mit verschiedensten Tönen veranstalten (stört mich zum Glück
nicht beim Schlafen) und von denen eine kleine Sorte auch tagsüber überall
herumhüpft. Überall kriechen Raupen mit langen Haaren herum, von den auch viele
irgendwie den Weg ins Haus finden; heute morgen war eine im Bad. Es flattern viele Schmetterlinge durch die Gegend
und an einem Baum habe ich eine Orchideenart mit wunderschönen kleinen Blüten
entdeckt. Die riesigen Urwaldbäume, von denen es in Takoradi-Effiakuma, wo ich zur
Zeit wohne, keine mehr gibt, beeindrucken mich jeden Tag wieder.
Zum Skypen und Email-Versenden, aber auch zum Aufladen
meines Notebooks und Handys wandere ich immer zu einem bestimmten InternetCafe,
dem einzigen in meiner Nähe. Ich nenne es meine „Internet Spelunke“, ohne
Fenster mit unmöglichen Tischen und
Stühlen, aber es gibt Strom (von einem relativ leisen Generator) und die jungen
Burschen, die das Cafe betreiben, sind sehr nett und hilfsbereit. Als
musikalische Begleitung hören wir immer die gleichen Lieder von Tracy Chapman,
bzw ist heute zum ersten Mal ununterbrochen
„Time to say good bye“ an der Reihe ...
Viele Grüße, alles Gute
und noch schöne Sommertage Anne
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