Sonntag, 17. November 2013

November 2013 - Inforundbrief



Dr. med Anne Prema Sittl    Email: anne.sittl@gmx.de   Skype: PaulaElisabeth11
Tel : Ghana : 00233 2044371120  Deutschland : 0176 38735090         
                                                                                                                     
                                                                     November 2013                                                                                                           


Liebe Verwandte, Freunde und Interessierte der Projekte in Takoradi,

zunächst berichte ich Euch von meiner täglichen Arbeit im großen Armenviertel  Effiakuma in Takoradi. Das Wichtigste sind die Patienten, die mit tropen­typischen Erkrankungen wie Malaria, Diarrhoe, Wurmerkrankungen zu mir kommen, aber genauso wie bei uns mit Grippe, Bronchitis, Magen-, Nierenentzündung und chronischen Erkrankungen wie Asthma, Bluthochdruck (deutlich häufiger als bei uns), Arthritis, Rückenschmerzen, Migräne. Kinder kommen auf eigene Faust oder die nur wenig ältere Schwester bringt das jüngere Geschwisterchen. Sie leiden an Husten, Fieber und Wunden, die sie sich beim barfuss laufen und Fußballspielen vor allem an den Füßen zuziehen. Es hat sich herumgesprochen, dass ich soweit wie möglich „süße Medizin“ (homöopathische Globuli) und eine kleine Süßigkeit verteile, wenn die Behand­lung weh tut. Viele Erwachsene kommen leider oft spät, wenn die Erkrankung schon weit fortgeschritten ist und sie wirklich nicht mehr weiter wissen. Männer mit über 39 Grad Fieber, die weiter auf der Baustelle arbeiten, Männer mit so starker Linsen­trübung, dass man sich wundert, wie sie überhaupt noch etwas sehen können, aber im Hafen die Kakaosäcke auf die Schiffe schleppen, Frauen mit ausgeprägter Anämie (Hb-Wert von 4 g/dl), die mit ihrem Kleinkind auf dem Rücken schweres Brennholz in glühender Sonne nach Hause tragen, etwas ältere Frauen mit nicht oder schlecht therapiertem Diabetes und so tiefen und großen eitrigen Geschwüren, dass der halbe Fuß verfault ist und ich nur noch die Amputation empfehlen kann.
Ich staune immer wieder über die Leidenstoleranz, die Ursachen hat wie: die Erfahrung, dass eine Beschwerde schon wieder von selbst vergeht, die Angst vor den Kosten, auch die Scham, wenn sie mich nicht bezahlen können, obwohl ich viele Patienten kostenlos oder für sehr wenig Geld behandle, der Druck nicht krank sein zu dürfen, weil ohne Arbeit kein Geld für das Essen am nächsten Tag da ist, auch Unwissen über Therapie­möglichkeiten und Folge­erscheinungen von Krankheiten wie eitrige Mandelent­zündung, Bluthochdruck oder Asthma, weswegen die Kinder nachts husten und keine Luft bekommen, aber tagsüber wieder munter spielen, auch wenn sie für ihr Alter zu klein sind.
Ich halte keine Vorträge mehr über verschiedene gesundheitliche Themen, zu denen mich die muslimischen Gemeinden zu Beginn meiner Zeit in Takoradi eingeladen hatten. Sie sind relativ zeitaufwendig und verändern meiner Erfahrung nach nicht viel. Ich versuche lieber im persönlichen Gespräch mit meinen Patienten und vor allem mit Frauen zu denen ich guten Kontakt habe, etwas von meiner Sicht über Krankheit, Vorsorge, gesunder Ernährung usw. zu erzählen. Es ist viel besser, dies nur bei Nachfrage meiner Gesprächspartner zu tun, leider brennt es mir manchmal zu sehr unter den Nägeln und ich halte wieder einmal nicht rechtzeitig meinen Mund.      
In der Regenzeit hatte ich dieses Jahr mehr als sonst zu tun:  Nach vielen sehr heissen und trockenen Wochen ab Weihnachten fiel der lang ersehnte Regen endlich Mitte Juni, wolkenbruchartig mit heftigen Stürmen, alles stand unter Wasser, Straßen, Hütten, aber nach ca. zwei Wochen war alles vorbei. Der übliche tagelange Nieselregen blieb aus und es wurde für Takoradi mit ca. 25°C außergewöhnlich kühl. Ich habe dieses Wetter sehr genossen, vor allem die kühleren Nächte, in denen ich sogar eine leichte Decke überziehen konnte. Da die meisten Bewohner von Effiakuma keine Decke und kein Sweatshirt für die frischen Morgen- und Abendstunden haben, wurden viele von ihnen krank.
Beschäftigt bin ich auch in meinem kleinen Garten mit dem Anbau von Gemüse und Artimisa annua zur Therapie und Prophylaxe von Malaria. Prophylaxe ist notwendig bei Leuten wie mir, die im Gegensatz zu den in Ghana aufgewachsenen Menschen keine Teilresistenz gegen den Malariaerreger entwickeln konnten, oder auch für Einheimische, die aus welchen Gründen auch immer (Stress?) ständig an Malaria erkranken. Eine einfache Krankheit ist Malaria nie, auch wenn sie von den Menschen hier oft wie eine Erkältung abgetan wird.  
Da die Blätter der Artimisiapflanze sehr fein sind und der Tee für die gewünschte therapeutische Wirksamkeit keine Stiele enthalten darf, ist die Ernte recht mühselig. Das Trocknen und Lagern muss ebenfalls sehr sorgfältig geschehen, sonst kommt es bei der hohen Luftfeuchtigkeit leicht zu Schimmelbildung. Ich bin froh, dass zuverlässige Helfer diese Arbeit übernommen haben.                          
Mein Lese- und Schreibunterricht mit Frauen, die nie die Schule besucht haben, hat sich im Sand verlaufen obwohl die Frauen eifrig bei der Sache waren. Wahrscheinlich war ich keine ausreichend gute und geduldige Lehrerin - es ist erstaunlich mühselig als Erwachsener das ABC zu erlernen - ein anderer Grund ist aber auch die fehlende Bereitschaft der Frauen zu üben, was bei ihrem Arbeitspensum allerdings verständlich ist: Wasser von weither schleppen, weil aus der örtlichen Wasserstelle wieder mal kein Wasser kommt, Wäscheberge, die per Hand gewaschen werden müssen, Kochen über offenem Feuer für eine große Familie und gleichzeitig der Versuch, durch Verkauf von Selbstgekochtem oder einem kleinen Handel, das Familienbudget aufzubessern. Vielleicht waren auch die Ehemänner der Frauen nicht besonders angetan von unseren Lernversuchen, aber mehr als ein paar vage Andeutungen dazu konnte ich den Frauen nicht entlocken.
Viel Freude macht mir das Vorlesen, Spielen und Malen mit Kindern aus den Armuts­vierteln, die gerne zum Essen bleiben, weil sie hungrig sind. Mädchen und Jungen müssen zu Hause helfen und werden oft zum Verkauf auf die Straße geschickt. Sie sind so den ganzen Tag sich selbst überlassen und vor allem die Jungen strolchen durch die Gegend mit wenig positiven Beschäftigungsmöglichkeiten. Es gibt besonders für Kinder nur eine sehr geringe Auswahl an Büchern, und ich bin erschrocken, als ich feststellen musste, wie teuer Bücher selbst in gebrauchtem Zustand sind. Es ist klar, dass sich nur wenige den Luxus des Bücherlesens leisten können. Eine einzige kleine Bibliothek der Methodisten in Takoradi verleiht nur wenige Bücher mit süßlich religiösem Inhalt. Deswegen bin ich sehr froh über die gespendeten und von mir gekauften Kinderbücher, die immer wieder Anlass zu eifrigen Diskussionen mit den Kindern geben. Sehr dankbar sind wir auch für die Kartons mit Spielen, Stiften und Papier aus Deutschland, kleinen, sehr nützlichen Schätzen wie Kreiden, Spielzeugautos und Glasmurmeln und natürlich für die Bälle. Wir haben mit Begeisterung - mich eingeschlossen - Ball über Schnur gespielt (bei Fußball spiele ich nicht mit), Gummitwist und Seilspringen geübt...
Die Formalitäten für meine offizielle Arbeitsgenehmigung und den Bau des Zentrums schienen erledigt zu sein und wir atmeten alle auf. Allerdings verlangte dann die Regierung bzw. ghanaische Ärztevertretung, dass ich eine Prüfung ablege, in der medizinisches Wissen wie zum Staatsexamen abgefragt wird. Das liegt bei mir 30 Jahre zurück. Es gibt zum Glück eine Möglichkeit, die Prüfung zu umgehen, weil ich weder Lust noch Zeit habe, wieder Wissen zu pauken – noch dazu auf Englisch -, das ich in der täglichen Praxis nicht benötige. Aber all dies braucht unglaublich Zeit und Geduld und ist manchmal schon sehr nervig, auch weil wir dank Eurer Unterstützung zumindest den Bau der kleineren Variante des Zentrums bald  finanzieren könnten!

Jetzt bin ich bis Ende Februar in Deutschland, eine Auszeit für mich, in der ich mich auch um meine Mutter kümmern kann. Dann werde ich ca. 6 Monate in Indien sein, wo ich nochmals wertvolle medizinische und sonstige Erfahrungen sammeln kann. Während dessen wollen sich viele in Takoradi für meine Belange und das Gesundheits­zentrum einsetzen. Abdul und Ben, die mir oft in der täglichen Praxis ausgeholfen haben, übernehmen die medizinische Erstversorgung in Effiakuma. Sie haben gelernt, Verletzungen, einfache Atemwegs- und Durchfallerkrankungen und vor allem Malaria mit dem Artimisiatee zu behandeln, den sie mit Helfern weiterhin auf dem kleinen Grund­stück anpflanzen, wo ich gearbeitet und gelebt habe. Im Viertel sind die Hütten so dicht aneinander gebaut, dass es oft nicht genügend Licht gibt, um einen Topf für die Artimisia­pflanze aufzustellen. Von Vorteil ist, dass Abdul und Ben die Achtung vieler Bewohner von Effiakuma genießen, was nicht einfach ist im großen Völkergemisch, den vielen Stämmen und verschiedenen Religionen und Konfessionen in Effiakuma.
Ramani, dessen Ausbildung zum Krankenpfleger wir dank Eurer Hilfe finanzieren konnten, hat mich in den ersten Monaten meiner Praxis in Takoradi unterstützt und wir konnten viel voneinander lernen. Ramani ist sehr engagiert und führt seit einem Jahr außerhalb von Takoradi eine kleine Krankenstation, deren medizinische Ausrüstung wir deutlich verbessert haben und die wir weiterhin fördern möchten. Das Auto, mit dem ich auch bei meinen Krankenbesuchen unterwegs war, hilft Ramani, Patienten in weiter entfernten kleinen Dörfern aufzusuchen.

Das Projekt Mikrokredite in Takoradi läuft im Moment noch auf Sparflamme. Der Hauptverantwortliche, Sharif, ist im Juli nach Nierenversagen und einigen Wochen an der Dialyse plötzlich mit 39 Jahren verstorben. (Die nächste Dialysestation ist übrigens in der Universitätsklinik von Accra, 5 bis 6 Autostunden von Takoradi entfernt.) Der bisherige Rahmen von 5.500,- € für das Projekt wurde nicht überschritten, neue Kredite werden nur von den wieder rückerstatteten Beträgen vergeben. Jetzt haben wir endlich einen geeigneten Nachfolger gefunden, Hussein, der gemeinsam mit Kobis das Mikro­kredit­projekt zuverlässig weiterführen kann. Hussein hat einen guten Schulabschluss; sein Studium auf einer Art Fachhochschule für Wirtschaft in Accra musste er aus familiären und finanziellen Gründen abbrechen. Zur Zeit hat er einen Job als LKW-Fahrer für Transporte in andere westafrikanische Länder. Der Verein wird ab nächstem Jahr seine halbjährige Ausbildung bei einer Bank finanzieren (300 € monatlich), damit Hussein und seine Familie das Notwendigste zum Leben haben und er gut auf die Anforderungen des Projekts vorbereitet ist. Damit unser Mikrokreditprojekt offiziell von den Behörden anerkannt wird und agieren kann, ist seit einiger Zeit ein Anfangskapital von 22.000,- € erforderlich. Außerdem wollen wir die Einrichtung des kleinen Büros verbessern u.a. mit einem PC und entsprechender Software, Kosten ca. 1.500,- €.  
Wir fördern weiterhin Schulpatenschaften und die Ausbildung junger Menschen. Zur Zeit werden Humu, Anti und Selima zu Krankenschwestern ausgebildet.

Wir freuen uns über jede Unterstützung zugunsten von Takoradi und danken Euch für Eure Geduld.
Ich wünsche Euch frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr 2014

Mit vielen Grüßen      Eure Anne          


 
Spenden bitte mit Angabe von Namen und Adresse auf das Konto 100-606405 bei der VR-Bank Erlangen EHH
BLZ 763 60033, Kontoinhaber: Ghana-Freunde e.V.,    Verwendungszweck: Takoradi

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