Dr. med Anne Prema Sittl Email: anne.sittl@gmx.de Skype: PaulaElisabeth11
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November 2013
Liebe
Verwandte, Freunde und Interessierte der Projekte in Takoradi,
zunächst berichte ich Euch von meiner täglichen Arbeit im
großen Armenviertel Effiakuma in
Takoradi. Das Wichtigste sind die Patienten, die mit tropentypischen
Erkrankungen wie Malaria, Diarrhoe, Wurmerkrankungen zu mir kommen, aber genauso
wie bei uns mit Grippe, Bronchitis, Magen-, Nierenentzündung und chronischen
Erkrankungen wie Asthma, Bluthochdruck (deutlich häufiger als bei uns),
Arthritis, Rückenschmerzen, Migräne. Kinder kommen auf eigene Faust oder die
nur wenig ältere Schwester bringt das jüngere Geschwisterchen. Sie leiden an
Husten, Fieber und Wunden, die sie sich beim barfuss laufen und Fußballspielen
vor allem an den Füßen zuziehen. Es hat sich herumgesprochen, dass ich soweit
wie möglich „süße Medizin“ (homöopathische Globuli) und eine kleine Süßigkeit
verteile, wenn die Behandlung weh tut. Viele Erwachsene kommen leider oft
spät, wenn die Erkrankung schon weit fortgeschritten ist und sie wirklich nicht
mehr weiter wissen. Männer mit über 39 Grad Fieber, die weiter auf der
Baustelle arbeiten, Männer mit so starker Linsentrübung, dass man sich
wundert, wie sie überhaupt noch etwas sehen können, aber im Hafen die
Kakaosäcke auf die Schiffe schleppen, Frauen mit ausgeprägter Anämie (Hb-Wert
von 4 g/dl), die mit ihrem Kleinkind auf dem Rücken schweres Brennholz in
glühender Sonne nach Hause tragen, etwas ältere Frauen mit nicht oder schlecht
therapiertem Diabetes und so tiefen und großen eitrigen Geschwüren, dass der halbe
Fuß verfault ist und ich nur noch die Amputation empfehlen kann.
Ich staune immer wieder über die Leidenstoleranz, die
Ursachen hat wie: die Erfahrung, dass eine Beschwerde schon wieder von selbst
vergeht, die Angst vor den Kosten, auch die Scham, wenn sie mich nicht bezahlen
können, obwohl ich viele Patienten kostenlos oder für sehr wenig Geld behandle,
der Druck nicht krank sein zu dürfen, weil ohne Arbeit kein Geld für das Essen
am nächsten Tag da ist, auch Unwissen über Therapiemöglichkeiten und Folgeerscheinungen
von Krankheiten wie eitrige Mandelentzündung, Bluthochdruck oder Asthma,
weswegen die Kinder nachts husten und keine Luft bekommen, aber tagsüber wieder
munter spielen, auch wenn sie für ihr Alter zu klein sind.
Ich halte keine Vorträge mehr über verschiedene
gesundheitliche Themen, zu denen mich die muslimischen Gemeinden zu Beginn
meiner Zeit in Takoradi eingeladen hatten. Sie sind relativ zeitaufwendig und
verändern meiner Erfahrung nach nicht viel. Ich versuche lieber im persönlichen
Gespräch mit meinen Patienten und vor allem mit Frauen zu denen ich guten
Kontakt habe, etwas von meiner Sicht über Krankheit, Vorsorge, gesunder
Ernährung usw. zu erzählen. Es ist viel besser, dies nur bei Nachfrage meiner
Gesprächspartner zu tun, leider brennt es mir manchmal zu sehr unter den Nägeln
und ich halte wieder einmal nicht rechtzeitig meinen Mund.
In der Regenzeit hatte ich dieses Jahr mehr als sonst zu
tun: Nach vielen sehr heissen und
trockenen Wochen ab Weihnachten fiel der lang ersehnte Regen endlich Mitte
Juni, wolkenbruchartig mit heftigen Stürmen, alles stand unter Wasser, Straßen,
Hütten, aber nach ca. zwei Wochen war alles vorbei. Der übliche tagelange
Nieselregen blieb aus und es wurde für Takoradi mit ca. 25°C außergewöhnlich kühl.
Ich habe dieses Wetter sehr genossen, vor allem die kühleren Nächte, in denen
ich sogar eine leichte Decke überziehen konnte. Da die meisten Bewohner von
Effiakuma keine Decke und kein Sweatshirt für die frischen Morgen- und
Abendstunden haben, wurden viele von ihnen krank.
Beschäftigt bin ich auch in meinem kleinen Garten mit dem
Anbau von Gemüse und Artimisa annua zur Therapie und Prophylaxe von Malaria.
Prophylaxe ist notwendig bei Leuten wie mir, die im Gegensatz zu den in Ghana
aufgewachsenen Menschen keine Teilresistenz gegen den Malariaerreger entwickeln
konnten, oder auch für Einheimische, die aus welchen Gründen auch immer
(Stress?) ständig an Malaria erkranken. Eine einfache Krankheit ist Malaria
nie, auch wenn sie von den Menschen hier oft wie eine Erkältung abgetan
wird.
Da die Blätter der Artimisiapflanze sehr fein sind und der
Tee für die gewünschte therapeutische Wirksamkeit keine Stiele enthalten darf, ist
die Ernte recht mühselig. Das Trocknen und Lagern muss ebenfalls sehr sorgfältig
geschehen, sonst kommt es bei der hohen Luftfeuchtigkeit leicht zu Schimmelbildung.
Ich bin froh, dass zuverlässige Helfer diese Arbeit übernommen haben.
Mein Lese- und Schreibunterricht mit Frauen, die nie die
Schule besucht haben, hat sich im Sand verlaufen obwohl die Frauen eifrig bei
der Sache waren. Wahrscheinlich war ich keine ausreichend gute und geduldige Lehrerin
- es ist erstaunlich mühselig als Erwachsener das ABC zu erlernen - ein anderer
Grund ist aber auch die fehlende Bereitschaft der Frauen zu üben, was bei ihrem
Arbeitspensum allerdings verständlich ist: Wasser von weither schleppen, weil
aus der örtlichen Wasserstelle wieder mal kein Wasser kommt, Wäscheberge, die
per Hand gewaschen werden müssen, Kochen über offenem Feuer für eine große
Familie und gleichzeitig der Versuch, durch Verkauf von Selbstgekochtem oder
einem kleinen Handel, das Familienbudget aufzubessern. Vielleicht waren auch
die Ehemänner der Frauen nicht besonders angetan von unseren Lernversuchen,
aber mehr als ein paar vage Andeutungen dazu konnte ich den Frauen nicht
entlocken.
Viel Freude macht mir das Vorlesen, Spielen und Malen mit
Kindern aus den Armutsvierteln, die gerne zum Essen bleiben, weil sie hungrig
sind. Mädchen und Jungen müssen zu Hause helfen und werden oft zum Verkauf auf
die Straße geschickt. Sie sind so den ganzen Tag sich selbst überlassen und vor
allem die Jungen strolchen durch die Gegend mit wenig positiven
Beschäftigungsmöglichkeiten. Es gibt besonders für Kinder nur eine sehr geringe
Auswahl an Büchern, und ich bin erschrocken, als ich feststellen musste, wie
teuer Bücher selbst in gebrauchtem Zustand sind. Es ist klar, dass sich nur
wenige den Luxus des Bücherlesens leisten können. Eine einzige kleine Bibliothek
der Methodisten in Takoradi verleiht nur wenige Bücher mit süßlich religiösem
Inhalt. Deswegen bin ich sehr froh über die gespendeten und von mir gekauften
Kinderbücher, die immer wieder Anlass zu eifrigen Diskussionen mit den Kindern
geben. Sehr dankbar sind wir auch für die Kartons mit Spielen, Stiften und
Papier aus Deutschland, kleinen, sehr nützlichen Schätzen wie Kreiden,
Spielzeugautos und Glasmurmeln und natürlich für die Bälle. Wir haben mit
Begeisterung - mich eingeschlossen - Ball über Schnur gespielt (bei Fußball
spiele ich nicht mit), Gummitwist und Seilspringen geübt...
Die Formalitäten für meine offizielle Arbeitsgenehmigung und
den Bau des Zentrums schienen erledigt zu sein und wir atmeten alle auf. Allerdings
verlangte dann die Regierung bzw. ghanaische Ärztevertretung, dass ich eine
Prüfung ablege, in der medizinisches Wissen wie zum Staatsexamen abgefragt
wird. Das liegt bei mir 30 Jahre zurück. Es gibt zum Glück eine Möglichkeit,
die Prüfung zu umgehen, weil ich weder Lust noch Zeit habe, wieder Wissen zu
pauken – noch dazu auf Englisch -, das ich in der täglichen Praxis nicht
benötige. Aber all dies braucht unglaublich Zeit und Geduld und ist manchmal
schon sehr nervig, auch weil wir dank Eurer Unterstützung zumindest den Bau der
kleineren Variante des Zentrums bald
finanzieren könnten!
Jetzt bin ich bis Ende Februar in
Deutschland, eine Auszeit für mich, in der ich mich auch um meine Mutter
kümmern kann. Dann werde ich ca. 6 Monate in Indien sein, wo ich nochmals
wertvolle medizinische und sonstige Erfahrungen sammeln kann. Während dessen
wollen sich viele in Takoradi für meine Belange und das Gesundheitszentrum
einsetzen. Abdul und Ben, die mir oft in der täglichen Praxis
ausgeholfen haben, übernehmen die medizinische Erstversorgung in Effiakuma. Sie
haben gelernt, Verletzungen, einfache Atemwegs- und Durchfallerkrankungen und
vor allem Malaria mit dem Artimisiatee zu behandeln, den sie mit Helfern
weiterhin auf dem kleinen Grundstück anpflanzen, wo ich gearbeitet und gelebt
habe. Im Viertel sind die Hütten so dicht aneinander gebaut, dass es oft nicht
genügend Licht gibt, um einen Topf für die Artimisiapflanze aufzustellen. Von
Vorteil ist, dass Abdul und Ben die Achtung vieler Bewohner von
Effiakuma genießen, was nicht einfach ist im großen Völkergemisch, den vielen
Stämmen und verschiedenen Religionen und Konfessionen in Effiakuma.
Ramani, dessen Ausbildung zum
Krankenpfleger wir dank Eurer Hilfe finanzieren konnten, hat mich in den ersten
Monaten meiner Praxis in Takoradi unterstützt und wir konnten viel voneinander lernen.
Ramani ist sehr engagiert und führt
seit einem Jahr außerhalb von Takoradi eine kleine Krankenstation, deren
medizinische Ausrüstung wir deutlich verbessert haben und die wir weiterhin
fördern möchten. Das Auto, mit dem ich auch bei meinen Krankenbesuchen
unterwegs war, hilft Ramani,
Patienten in weiter entfernten kleinen Dörfern aufzusuchen.
Das Projekt Mikrokredite in Takoradi läuft im Moment noch
auf Sparflamme. Der Hauptverantwortliche, Sharif,
ist im Juli nach Nierenversagen und einigen Wochen an der Dialyse plötzlich mit
39 Jahren verstorben. (Die nächste Dialysestation ist übrigens in der
Universitätsklinik von Accra, 5 bis 6 Autostunden von Takoradi entfernt.) Der bisherige
Rahmen von 5.500,- € für das Projekt wurde nicht überschritten, neue Kredite
werden nur von den wieder rückerstatteten Beträgen vergeben. Jetzt haben wir
endlich einen geeigneten Nachfolger gefunden, Hussein, der gemeinsam mit Kobis das Mikrokreditprojekt
zuverlässig weiterführen kann. Hussein
hat einen guten Schulabschluss; sein Studium auf einer Art Fachhochschule für
Wirtschaft in Accra musste er aus familiären und finanziellen Gründen
abbrechen. Zur Zeit hat er einen Job als LKW-Fahrer für Transporte in andere westafrikanische
Länder. Der Verein wird ab nächstem Jahr seine halbjährige Ausbildung bei einer
Bank finanzieren (300 € monatlich), damit Hussein
und seine Familie das Notwendigste zum Leben haben und er gut auf die
Anforderungen des Projekts vorbereitet ist. Damit unser Mikrokreditprojekt
offiziell von den Behörden anerkannt wird und agieren kann, ist seit einiger
Zeit ein Anfangskapital von 22.000,- € erforderlich. Außerdem wollen wir die
Einrichtung des kleinen Büros verbessern u.a. mit einem PC und entsprechender
Software, Kosten ca. 1.500,- €.
Wir fördern weiterhin Schulpatenschaften und die Ausbildung
junger Menschen. Zur Zeit werden Humu,
Anti und Selima zu Krankenschwestern ausgebildet.
Wir freuen uns über jede Unterstützung zugunsten von
Takoradi und danken Euch für Eure Geduld.
Ich wünsche Euch frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr
2014
Mit vielen Grüßen
Eure Anne
Spenden bitte mit Angabe von Namen
und Adresse auf das Konto 100-606405 bei der VR-Bank Erlangen EHH
BLZ 763 60033, Kontoinhaber:
Ghana-Freunde e.V., Verwendungszweck:
Takoradi
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